Wer unsere Beiträge aufmerksam verfolgt, wird gemerkt haben, dass wir uns gelegentlich mit dem Übersetzen von Gesellschaftsspielen beschäftigen. Das können unkomplizierte Kartenspiele wie z.B. The Guardians: Explore sein, aber auch Schwergewichte wie Der Herr des Eisgartens, Fury of Dracula 3rd Edition, oder Dungeon Saga sein. Je nach Verlag und Umfang des Spiels liegt die Übersetzung vollständig bei uns oder wird auch auf mehrere Teilnehmer aufgeteilt.
Auch am Lektorat von bereits übersetzten Spielen wie z.B. Myth oder Andromeda haben wir mitgewirkt und lassen uns dabei für unsere eigenen Übersetzungen inspirieren, was Formulierungen, Schlüsselwortgebrauch und andere Aspekte angeht.
In diesem Artikel wollen wir euch Einblicke in das geben, was uns beim Übersetzen beschäftigt, wie wir zusammenarbeiten und worauf wir besonders achten.
Unser Manifest
Die Grundlage einer guten und zügig umsetzbaren Übersetzung ist für uns finales, lektoriertes und durch den Layout-Prozess gewandertes Quellmaterial. Noch bevor wir die ersten Buchstaben tippen, sollte optimalerweise sichergestellt sein, dass
- konsistenter Gebrauch von Schlüsselworten gemacht wird,
- alle relevanten Materialien in digitaler (und/oder physischer) Form vorliegen,
- die Abgabe-Deadline nicht zu knapp ist
- und – am allerwichtigsten – das Material final und lektoriert ist.
Wie das im echten Leben so ist, erfüllen nicht alle Projekte diese Erwartungen. Mache Verlage liefern zwar finales Material, kommen aber erst kurz vor knapp mit ihrer Anfrage um die Ecke geschleudert. Andere sind selbst noch dabei, das englische Material zu überarbeiten, wollen aber schon die deutsche Fassung auf den Weg bringen, weil der Abgabetermin in der Fabrik schon in greifbarer Nähe ist. So gibt es mit fast jedem Projekt eine neue Herausforderung, der es sich zu stellen gilt.
Warum sind uns diese Punkte so wichtig, und warum lehnen wir in bestimmten Fällen auch die Übernahme eines Projekts ab, wenn zu viele Punkte dagegen sprechen?
- Eine der schlimmsten Sünden, die ein Regelheft und textbasiertes Spielmaterial sich in meinen Augen leisten kann, ist – abgesehen von schlicht falschen Passagen – der inkonsistente Gebrauch von Schlüsselworten oder sich widersprechende Formulierungen. Wenn hier geschludert wird und auf Seite 3 von „discard“ die Rede ist, während es auf Seite 7 „remove from play“ heißt, kommt der Spielfluss unweigerlich zum Erliegen, weil die Spieler nicht unmittelbar wissen können, dass beide Begriffe eigentlich das gleiche meinen. Auch „draw a card“ und „pick a card“ sind uns schon im gleichen Spiel begegnet – beide weisen die Spieler an, eine Karte vom Stapel zu ziehen. Wenn wir dann mit einem Glossar bewaffnet darüber stolpern, bringt das wiederum den Übersetzungsprozess ins Stocken, weil wir nachhaken müssen und selbstkritisch bisherige Passagen auf diese Inkonsistenz prüfen müssen. Das kostet Zeit und lässt die TODOs in unseren Dokumenten anschwillen. Diesen Punkt können wir im Voraus kaum einschätzen, haben es aber in der Hand, das Problem zu berichtigen. Dem Übersetzungsprozess zuträglich ist es dennoch nicht.
- Vor allem kleinere, weniger bekannte Verlage werfen uns gern Quellmaterial über den Zaun, das aus wenig mehr als einem Textdokument ohne Abbildungen der Komponenten besteht. Eine Übersetzung ist aber niemals nur das stumpfe wörtliche Abarbeiten von Zeilen. Es gilt vielmehr, den Sinn zu erfassen und in unsere Sprachstruktur zu übertragen, damit die Texte flüssig und verständlich lesbar sind. Deshalb ist ein fertiges Regelheft und Abbildungen der Materialien sehr wichtig, damit man immer nachschauen kann, worum es beim aktuellen Abschnitt geht. Das Spiel wird so zu etwas Greifbarem und es entsteht ein (zumindest rudimentäres) Verständnis für die Zusammenhänge der Komponenten. Insbesondere bebilderte Beispiele für z.B. Bewegungs- und Sichtlinien-Regeln helfen auch, solch elementaren Regeln sinngemäß und korrekt zu übersetzen. Ohne diese Verbildlichung im Kopf funktioniert die Übersetzung insbesondere bei größeren Spielen deutlich schlechter. Man hält sich dann automatisch stärker an den nackten Text (und weniger an den Sinn, bzw. Kontext), wodurch die Übersetzung holpriger und fehleranfälliger wird.
- Zeit ist bekanntermaßen Geld. Nachdem die Kickstarter-Kampagne vorüber ist, sollten die Produktionsbänder am besten gleich anlaufen. Das ist verständlich und auch wir freuen uns, wenn wir die Früchte unserer Arbeit alsbald in Händen halten können. Mit dieser betriebswirschaftlich gelenkten Denke geht aber oft einher, dass das Zeitfenster für die Abgabe der (lektorierten) Übersetzung sehr eng ist und auch das Quellmaterial vor der Übersetzung nicht den nötigen Feinschliff erhält. Das betrifft sowohl kleine als auch große, etablierte Verlage.
Ein Text ist nämlich selten rund, wenn er einmal getippt wurde. Deshalb lese ich den gesamten übersetzten Text mindestens einmal selbst und merze Formulierungen aus, die im Eifer des Gefechts sinnvoll klangen, mit etwas Abstand betrachtet jedoch nicht ganz schlüssig sind. Wenn ich mit dem Werk zufrieden bin, gebe ich das ganze dann ans Lektorat. Sinn und Zweck dieser Selbstprüfung ist vor allem, Formulierungen konsistent und so eindeutig und zugleich verständlich wie möglich zu halten. Und das braucht seine Zeit. Mit einer engen Deadline artet das in Stress aus, was weder Spaß macht, noch der Qualität der Übersetzung zu Gute kommt. Deshalb diskutieren wir vor Annahme eines Projekts immer den zu erwartenden Aufwand und vergleichen diesen mit vergangenen Projekten sowie der Erfahrung, wie viel Zeit diese beansprucht haben. - Der primäre Anspruch an uns selbst ist der, dass unser Werk so sauber wie möglich ist. Sauber in dem Sinne, dass wir ein sprachlich konsistentes und fachlich korrektes Regelwerk sowie Kartenmaterial abliefern, das sich nicht selbst widerspricht oder nennenswerten Interpretationsspielraum lässt. Ansonsten gefährdet das den Spielfluss der Spieler, die – anstatt zu spielen – das Regelwerk wälzen und diskutieren müssen, weil wir zweifelhafte Formulierungen verwendet haben.
Um solche Fehler auszuschließen legen wir Wert auf Punkt 3 (siehe oben), um genug Zeit zur internen Qualitätskontrolle zu haben; aber noch wichtiger ist, dass wir finales Material vom Hersteller bekommen, bei dem keine Änderungen mehr zu befürchten sind und das auch fachlich sauber ist. Das ist jedoch nicht immer gegeben, sodass gelegentlich ganze Dokumente abgeglichen werden müssen, weil die Verlage eigentlich nie konkret benennen (können), was genau nachträglich verändert wurde.
Deshalb reagieren wir absolut allergisch auf Projekte, bei denen der Hersteller nur „fast fertiges“ oder „Da ändert sich eigentlich nichts mehr“-Material liefert. Die Erfahrung zeigt: es ändert sich immer noch irgendetwas, und wir stehen dann in der lästigen Pflicht, diese Änderungen zu finden, abzugleichen und unsere Übersetzung anzupassen. Das i-Tüpfelchen wäre in dem Zusammenhang, einen fertigen Prototypen spielen zu können, um direkt im Spiel über Regelfragen zu stolpern und feststellen zu können, ob alles zusammenpasst (dazu später mehr).
Ein Beispiel: Doom (2017) – meine bisher umfangreichste Übersetzung – umfasst knapp 60 Seiten Regelwerk, Referenz- und Szenarioheft. Hier hatten wir weniger als einen Monat Zeit, sämtliches Material zu übersetzen und dem Hersteller zum Lektorat und Layout zur Verfügung zu stellen. Als berufstätiger Vater von zwei Kindern bleibt nicht viel Zeit übrig, um sich dieser Aufgabe zu widmen, aber die Herausforderung war zu verlockend, um sie vorbeiziehen zu lassen. Am Tag belief sich mein Fortschritt auf 2-3 Seiten, die mal mehr, mal weniger dicht bedruckt waren und im Schnitt eine halbe (mit einigen Bildern) bis eine Stunde (viel Text) pro Seite erfordert. Doch selbst, wenn man mehr Zeit hat: nach drei oder vier Seiten ist der Kopf einfach voll und braucht eine Pause.
Im Gegenzug handelte es sich um finales, vollständig lektoriertes und „layoutetes“ Material von einem etablierten Verlag. Es gab fast keinen Rückfragebedarf, weil alles sauber vorbereitet war. Das spart viel Zeit und Nerven verglichen mit unfertigen Textdateien ohne Bilder und Anhaltspunkte, wie die Komponente aussieht, die man gerade beschreibt.
Ein-Mann-Show, Duett oder Trio Infernale?
Je nach Umfang des zu übersetzenden Spiels muss entschieden werden, ob, wer, was und wie wir ein Spiel übersetzen. Das ist keine Entscheidung, die man ad hoc übers Knie brechen kann, sondern will – mit Blick auf das verfügbare Zeitfenster – wohlüberlegt sein. Schließlich sind wir alle berufstätig und zwei von uns haben Kinder daheim. [Anmerkung des Autors: Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels war das Team noch zu dritt.]
Bei der Planung einer Übersetzung hat es sich bewährt, die Komponenten und Aufgaben systematisch aufzuteilen. Um die sprachliche und fachliche Konsistenz sicherzustellen, übernimmt einer von uns sowohl das Regelwerk als auch etwaige Referenzhefte und -bögen. Die Übersetzung der Spielregeln sollte unserer Ansicht nach möglichst von genau einer Person verantwortet werden. Wiederkehrende Regelmuster oder Wiederholungen werden so automatisch ähnlich oder gleich formuliert, was die Verständlichkeit fördert. Wenn zwei Personen am gleichen Regelwerk frickeln, kommt es leicht zu sprachlichen Abweichungen, die im schlimmsten Fall zu ungewollten Interpretationsspielräumen führen könnten.
Ein anderer übernimmt dann die Übersetzung der Karten, die der „Lead“-Übersetzer im Anschluss überarbeitet, damit das Wording, also die Formulierung der Anweisungen, mit dem des Regelwerks zusammenpasst. So fallen auch etwaige Fehler auf, die durch inkonsequenten Glossar-Gebrauch entstehen. Manche Begriffe übersetzt man einfach intuitiv, und wenn man im Eifer des Gefechts vergisst, das Glossar zu Rate zu ziehen, kann es hier schon mal zu Abweichungen kommen.
Wenn wir in einem Projekt sowohl Übersetzung als auch Lektorat übernehmen, bleibt normalerweise einer von uns vom Übersetzungsprozess weitgehend ausgeschlossen. Er übernimmt am Ende als unbeteiligter Dritter das Lektorat und lernt das Übersetzte ganz unbeeinflusst kennen, und entdeckt Zinken, welche die Übersetzer in ihrer Betriebsblindheit übersehen haben. Auch nicht optimal verständliche Passagen werden so nachträglich identifiziert.
Wenn die linke Hand nicht weiß, was die Rechte abwerfen soll
Oft ist der Aufwand, Regelwerk und Karten zu übersetzen zu groß für eine Person, und so übernimmt ein anderer die Karten. Dabei kann (und wird) es immer wieder zu fachlichen und sprachlichen Differenzen in den Texten kommen, die man im Vorfeld durch ein Glossar, und im Nachhinein durch eine Überarbeitung durch den Haupt-Übersetzer ausmerzen muss (s.o.).
Ein Beispiel: Der Übersetzer des Regelwerks formuliert den Vorgang des „aus der Hand legens einer Karte“ im Regelwerk so: „Wirf zwei Karten von deiner Hand ab.“, während der Übersetzer der Karten schreibt: „Du musst 2 Handkarten ablegen.“.
Sprachlich sind beide Varianten völlig in Ordnung und eigentlich nur eine Stilfrage. Beide meinen das gleiche und sind ziemlich eindeutig. Anhand dieser wenigen Wörter gibt es aber einige Faktoren, die es beim Übersetzen zu beachten gilt:
- „Du musst“ vs. „Wirf“: Der Imperativ sagt am Ende das gleiche aus, ist aber nicht konsistent. Das ist primär ein kosmetisches Problem und dürfte von Wenigspielern leicht übersehen werden. Ich als unbeteiligter Spieler würde hier aber erst einmal eine Gewichtung vermuten, bei der „Wirf“ – im Vergleich mit „Du musst“ – womöglich als optional zu verstehen ist. Damit gleichbedeutende Anweisungen intuitiv verstanden werden und keinen Interpretationsspielraum bieten, müssen sie über alle Medien des Spiels hinweg konsequent nach dem gleichen Muster formuliert werden.
- „2“ vs. „zwei“: Im Fließtext von Regelwerken, wo genug Platz ist, werden Zahlenangaben meist voll ausgeschrieben („zwei“), wohingegen auf Medien mit wenig Platz (wie Karten) die Nummer abgedruckt wird. Insbesondere auf Karten sollte die Nummer verwendet werden, damit der Inhalt der Karte schneller zu erfassen ist. Wichtig ist, dass die Zahlen im jeweiligen Medium konsequent angewendet werden, d.h. im Fließtext Zahlen voll auszuschreiben (oder eben nicht, aber dann konsistent), und auf Karten oder in Auflistungen im Regelwerk als Zahlen. Das mindert die Gefahr, Informationen durch wechselnde Stile zu überlesen. Gerade an dieser Stelle nehmen wir uns gelegentlich die Freiheit, das Original nach unserem Empfinden anzupassen.
- „von der Hand“ vs. „Handkarten“: Hier haben wir wieder ein eher kosmetisches Beispiel. Im Endeffekt würde kaum jemand darüber stolpern. Nichtsdestotrotz achten wir darauf, „Orte“ oder „Richtungen“, auf die sich Anweisungen beziehen, immer gleich zu übersetzen (was selbst im Original mitunter nicht konsequent eingehalten wird). Der Spieler soll sich auf das Spiel konzentrieren – nicht auf die Grammatik der Karten.
- „abwerfen“ vs. „ablegen“: Dies sind elementare Schlüsselwörter, die normalerweise synonym sind. Während der Übersetzer des Regelwerks diesen Begriff im Blut hat und immer gleich anwendet, übersieht der Karten-Übersetzer (der normalerweise nicht ganz so tief drin ist) diesen womöglich und nimmt aus seiner Erfahrung einen anderen. Das verdeutlicht die Bedeutung eines gut gepflegten und konsequent verwendeten Glossars. So gibt es Spiele, in denen Karten abgeworfen und/oder entfernt (d.h. in die Schachtel gelegt) werden. Wenn es hier zu Differenzen kommt, wissen die Spieler im Extremfall nicht, was sie mit ihren Karten tun sollen.
- „deiner“ vs. nichts: Während der eine Übersetzer spezifisch vorgibt, dass der Spieler eine eigene Karte abzuwerfen hat, unterschlägt der andere diese Information. Hier kommen die erfahrenen Spieler daher und stellen Überlegungen an, ob diese Formulierung (d.h. die Auslassung des Begriffs „deiner“) so gewollt ist – oder eben nicht. Vielleicht darf man ja auch eine Karte eines anderen Spielers abwerfen? Man weiß es nicht – weil es nicht da steht.
Deshalb legen wir Wert darauf, entweder im Regelheft klar abzugrenzen, dass eigene Karten gemeint sind (sofern der Hersteller es nicht schon selbst angibt), oder nehmen „deine“ direkt in die Karten auf. Diese fünf Buchstaben kosten kaum Platz, sind aber von unschätzbarem Wert für die Spieler. Auch vermeintlich profane Füllworte wie „beliebig“, „diese(r)“, „genau X“ oder „insgesamt“ werden in so manchem Original gern mal unterschlagen – wenn wir die Bestätigung haben, dass solche Begriffe korrekt sind, fügen wir sie manchmal auch selbst ein, was die Eindeutigkeit der Formulierung drastisch erhöht.
Leichte Abweichungen zwischen den Übersetzungsstilen von Regelwerk und Karten bei zwei Übersetzern sind unvermeidlich. Wichtig ist uns aber, dass jedes Medium von genau einer Person betreut. Wir haben bereits im gleichen Medium (Regelheft / Karten) zu zweit parallel übersetzt, sind aber zu der Überzeugung gelangt, dass der Mehraufwand, der durch das Angleichen der Formulierungen entsteht, die Zeitersparnis zu einem beträchtlichen Teil auffrisst. Auch ist das Risiko von Fehlern im Regelwerk größer, weil keiner mehr das große Ganze im Blick hat. Es fehlt das Verständnis für das Spiel von A bis Z. Sich darauf zu verlassen, dass das Lektorat diese Fehler entdeckt, ist für uns der falsche Ansatz. Deshalb sind wir dazu übergegangen, grundsätzlich genau eine Person auf die Regelwerke anzusetzen, damit einer von uns den sprichwörtlichen Hut aufhat, und über das Gesamtwerk wacht.
Glossy
Ein Glossar ist beim Übersetzen von vitaler Bedeutung und liegt bei uns vor allem in der Verantwortung des Übersetzers des Regelwerks, sofern der Verlag keines vorgibt. Ein Glossar ist in diesem Kontext nichts anderes als eine Tabelle, in der die englischen und deutschen Begriffe nebeneinander gepflegt werden. In ihm sollte jeder Begriff festgehalten werden, der später noch von Bedeutung sein könnte. Dabei gilt: Lieber zu viele Begriffe pflegen, als zu wenige. Denn wenn ein Begriff wiederkehrt, bei dem es im Hinterkopf ruft „Das hatten wir doch schon mal irgendwo“, und dieser nicht im Glossar zu finden ist, sollte man nicht einfach nach Bauchgefühl weiter übersetzen. Man sollte sich die Mühe machen, nach genau diesem Punkt zu suchen, damit man hier keine Abweichungen riskiert.
Die Übersetzung von Karten gehen wir normalerweise erst an, wenn das Regelwerk weit fortgeschritten, und das Glossar dementsprechend gut gefüllt ist. Beginnt man zu früh damit, muss man die Karten öfter überarbeiten als wirklich nötig. Wenn die Zeit derart drängt, dass die Karten parallel übersetzt werden müssen, kann man das Glossar auch gemeinsam vor Beginn der Übersetzung anlegen, indem man das Regelwerk nach solchen Schlüsselworten abklopft. Wir nutzen aber nach Möglichkeit immer die erste Variante und fahren recht gut damit, weil Karten selten der zeitfressende Faktor sind – zumindest dann nicht, wenn das zu übersetzende Spiel kein Deckbuilder ist. 😉
Wenn man parallel arbeitet, sollte man sich sich abstimmen und neue Begriffe gemeinsam einpflegen – niemals eigenmächtig handeln, weil sich sonst für den gleichen Begriff zwei verschiedene Übersetzungen einschleichen können – und das gilt es unter allen Umständen zu vermeiden.
Stille Post
Ein ganz heißes Eisen sind für uns natürlich Fehler im Regelwerk. Sei es im fertigen, deutschen Regelwerk oder bereits im englischen Original. Da wir nur aus dem englischen übersetzen (mein Spanisch ist leider etwas eingerostet), sind wir darauf angewiesen, dass die englische Fassung der Regeln und Karten fachlich korrekt ist. Sprachliche Unzulänglichkeiten lassen sich ausgleichen – wenn aber das Quellmaterial bereits fachliche Fehler enthält, können wir die selten entdecken und ausgleichen. Originär englische Regelwerke sind meistens relativ gut (Ausnahmen bestätigen die Regel). Anders sieht es bei Regelwerken aus, die ihren Ursprung nicht im Englischen, sondern einer anderen Fremdsprache haben und dann erst ins Englische übersetzt werden. Diese sind deutlich fehleranfälliger.
Spielregeln zu lesen und zu verstehen ist nicht mit dem echten Spielen und Erleben zu vergleichen. Viele Fehler bemerkt man deshalb erst, wenn man das Spiel auf dem Tisch hat und anhand der vorliegenden Regeln spielt. Was in der Theorie plausibel klang, geht in der Praxis mitunter auf die Bretter und sorgt für Verwirrung oder gar Frust. Die Möglichkeit, einen Prototypen des Spiels parallel zum Übersetzen tatsächlich spielen zu können, haben wir aber nur sehr selten. Deshalb können wir die subtileren Fehler beim Übersetzen kaum aufdecken. Wenn durch die beschriebene Stille-Post-Situation also unerkannte Fehler im englischen Material vorliegen, wandern diese logischerweise in den meisten Fällen auch in unsere Übersetzung. Das ist ärgerlich, weil wir mit unserem Namen für die Qualität der Übersetzung „haften“ und auch selbst nicht mehr mit dem Ergebnis gänzlich zufrieden sein können. Oft (aber nicht immer) können wir zusammen mit dem Verlag ein überarbeitetes Regelheft erarbeiten, aber das erreicht in der Regel nur einen Bruchteil der Spieler.
Auch die Struktur der Regeln können wir bei der Übersetzung nicht beeinflussen. Sie liegt völlig in der Hand des Verlags, so sehr wir uns manchmal auch wünschen würden, eine Umstrukturierung vorzunehmen.
Fazit
Warum macht man sich den Aufwand, in seiner Freizeit ein Spiel zu übersetzen? Obwohl wir auf die Einhaltung der 4 Punkte aus dem Abschnitt „Unser Manifest“ pochen, gibt es fast immer irgendwo etwas, das nicht in diese Wunschvorstellung passt. Dann bockig zu werden und alle Projekte abzublocken, die nicht genau in dieses Raster passen, wäre aber der falsche Ansatz und wir könnten das Übersetzen auch sein lassen. Dennoch sehen wir bei wiederkehrenden Partnern (das betrifft hauptsächlich junge/kleine Verlage) durchaus Fortschritte, wenn man nur genug miteinander redet. Das Quellmaterial wird besser, die Vorbereitung gründlicher und die Deadlines dadurch entspannter. Etablierte Verlage sind da eine andere Sache: hier gibt es meistens finales Material, Bilder von allem, was durch die Druckerei wandert und meist eine realistische, wenn auch knappe, Deadline. Je mehr dieser Punkte also erfüllt sind, desto mehr Spaß macht es, eine Übersetzung anzufertigen.
Übersetzen ist aber auch viel Arbeit, und irgendwo auch eine Verantwortung. Wenn man die Übersetzung vergeigt und Fehler in das gedruckte Produkt bringt, steht der eigene Name darunter – wer will das schon? Umso größer ist der Ansporn, gemessen am Quellmaterial so präzise wie möglich zu arbeiten, also sowohl korrekte als auch verständliche Formulierungen zu entwickeln. Gemessen an diesem Aufwand ist die Entlohnung eher überschaubar. Viel schöner finde ich, am Ende den eigenen Namen im Regelheft zu sehen und „sein Baby“ in den Händen zu halten.
Manchmal hat man als Übersetzer die Chance, das Regelwerk zu verbessern und Formulierungen, die im Original schwammig sind, für die deutsche Ausgabe zu präzisieren und verständlicher zu machen. Da die deutsche Fassung eines Spiels oft erst einige Zeit nach dem englischen Original erscheint, kann man mitunter auch FAQs und Errata einarbeiten, und so die Qualität der deutschen Ausgabe weiter steigern. Wenn das nicht der Fall ist, muss man aber auch mit Fehlern im Original rechnen, die dann automatisch in die Übersetzung einfließen. Das ist mitunter etwas frustrierend.
Ich habe so manche mehrdeutige oder schlicht falsche Übersetzung gesehen, deretwegen ich das englische Original konsultieren oder im Internet nach Klarstellungen forschen musste. Die Möglichkeit, genau das besser machen zu können, ist eine interessante Herausforderung. Bis man das Ergebnis seiner Arbeit in der Hand hält, gehen meist einige Monate ins Land, und so muss man es anhand der gedruckten Regeln neu lernen und merkt unmittelbar, ob man gute Arbeit geleistet hat – oder auch nicht.
Pierre
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