Dies ist Teil 2 der Artikelreihe „Crowdfundng für Einsteiger“. Teil 1 findet ihr hier.
Nicht abgeschreckt? Dann ab ins Wunderland
Die prominentesten Crowdfunding-Plattformen für Gesellschaftsspiele sind allen voran Kickstarter, und im deutschsprachigen Raum die Spieleschmiede. Das eine oder andere Spieleprojekt auf Kickstarter findet später den Weg von der rein englischsprachigen Ausgabe zur Spieleschmiede, um dort in einer lokalisierten Fassung finanziert zu werden. Auch etablierte Verlage wie der Heidelberger Spieleverlag (mittlerweile in Asmodee aufgegangen) oder Pegasus haben das eine oder andere vom Schwarm finanzierte Spiel aufgegriffen und in deutscher Sprache veröffentlicht. Wenn euch Englisch nicht so sehr liegt, oder es an eurer Spielegruppe scheitert, lohnt es sich also interessante Spiele dennoch im Auge zu behalten. Allerdings müsst ihr dann ggf. (und das ist einer der Reize des Crowdfundings) auf viel „kostenloses“ (in Wahrheit im Pledge eingepreistes) und oft exklusives Material verzichten. Ob dieser Verzicht einen gefühlten Verlust darstellt, hängt vor allem vom eigenen Sammeltrieb und dem verpassten Material ab.
Schaut man sich die Kategorie Tabletop-Spiele auf Kickstarter oder Indiegogo an, wird einem schnell bewusst, wie groß das Thema Crowdfunding inzwischen für kleine, aber auch etablierte Verlage wie CMON (ehemals CoolMiniOrNot) oder Soda Pop Miniatures und Einzelpersonen geworden ist. Die Spannweite reicht von kompakten Kartenspielen bis hin zu ausgewachsenen Großproduktionen mit dutzenden von Miniaturen und tausenden Karten aus aller Welt. Auch der Fortschritt der feilgebotenen Spiele geht weit auseinander. Es gibt Projekte, die sind so unausgegoren und noch dazu ungenügend präsentiert, dass sie ihr Fundingziel bei Weitem nicht erreichen. Die meisten Spiele, die ihr Funding-Ziel erreichen sind solche, die fast fertig für die Druckerei sind, und es im Wesentlichen um die Finanzierung der Produktion und Rückfinanzierung der Entwicklung geht. Letzteres geschieht z.B. bei CMON, die insbesondere die miniaturenlastigen Spiele via Kickstarter finanzieren lassen, und damit für die Produktion – abgesehen von Entwicklung, Marketing, Layout, etc. vergleichsweise wenig in Vorleistung gehen müssen.
Projekte, bei denen es zunächst um die Finanzierung des Konzepts und der Entwicklung des Spiels an sich geht, scheitern zumeist, obwohl eigentlich genau diese Art von Projekt dem Gedanken des Crowdfunding entspricht. Sie sind einfach nicht attraktiv genug, weil es kaum Material zu zeigen gibt.
Kritik, Kritiker und kritische Fehlschläge
Die meisten Projektgründer lassen ihre Prototypen von bekannten Reviewern wie z.B. Rahdo, Board Game Brawl oder Undead Viking vorstellen und bewerten. Auch wir haben bereits ein paar Prototypen vor oder während des Go-Live der Kampagnen unter die Lupe genommen, darunter Heldentaufe, Perdition’s Mouth oder Godforsaken Scavengers. Der Unterschied liegt hier darin, dass nur ein ausgewählter Kreis die Spiele bewertet und für einige Previews Geld den Besitzer wechselt. Noch mehr als bei im regulären Handel erhältlichen Spielen gilt daher: Medienkompetenz walten lassen. Würde ein Projektgründer ein Preview auf seiner Projektseite veröffentlichen, das sein Spiel verreißt? Wünschenswert wäre es, aber im Sinne des Projekterfolgs natürlich kontraproduktiv. Im Falle von Godforsaken Scavengers fehlt z.B. jeglicher Hinweis auf unsere eher verhaltene Preview. Kritische Stimmen findet ihr eher in den Foren zum Spiel auf boardgamegeek.com, wo sich Spieler oft eingehend mit dem vorliegenden Material beschäftigt haben, und ihre Eindrücke diskutieren.
Dennoch bieten die Videos meist einen guten Überblick über die Spielabläufe und sind einen Klick wert. Begriffe wie „awesome“, „incredibly clever“, „simple, yet deep“ oder „innovative“ findet ihr in jedem dieser Videos, deshalb lohnt es, sich ein Bingo-Blatt vorzubereiten. Denkt immer daran: Egal ob die Berichte nun positiv oder negativ sind, die Spiele sind nicht final, es wird weiterhin an ihnen gearbeitet. Dementsprechend wird sich fast immer noch etwas ändern und seien es nur Kleinigkeiten, wie zum Beispiel die Pose einer Spielfigur oder die Materialqualität.
Die Perlen in der Flut aus Spielen zu finden ist eine Kunst für sich und mündet dann und wann – aller Vorsicht zum Trotz – auch mal in einem Fehlgriff. In letztere Kategorie fällt z.B. das für mich persönlich hoch enttäuschende Lobotomy. Hatte ich 2015 noch mit einem spannenden Spiel gerechnet, das mit frischen Ideen punktet, stellte es sich letztlich als langweiliger, unnötig komplizierter und mangelhaft beschriebener Dungeon Crawler heraus, der nichts mit dem zu tun hatte, was von der Atmosphäre her versprochen wurde. Lobotomy ist zugleich die perfekte Überleitung zum nächsten Kapitel.
Regeln aus der Hölle?
Die meisten Projektgründer stellen Interessierten einen Entwurf des Regelhefts zur Verfügung, mit denen sich ein detailierter Eindruck vom Spiel gewinnen lassen soll. BETA prangt da immer ganz verschwörerisch, und direkt darunter wird hoch und heilig versprochen, dass die Regeln natürlich noch überarbeitet und optimiert werden. Die Realität sieht oft anders aus. Richtig gut ausgearbeitete Regelwerke stellen nach meiner Erfahrung eher die Ausnahme denn die Regel dar. Auch sog. Blindtests, bei denen unbedarften Spielergruppen das fertige Material vorgesetzt wird und sie sich das Spiel dann ganz alleine beibringen müssen, werden häufig – so scheint es – nicht durchgeführt. Gerade hier würden viele der Fehler auffallen und könnten noch korrigiert werden. Letztendlich dienen dann jedoch die Käufer als „Tester“. Allzu häufig bekommt man etwas, das zwischen „Es genügt, um das Spiel einigermaßen flüssig zu spielen.“ und „Keine Ahnung, wie das Spiel ablaufen soll.“ liegt. Das oben erwähnte Lobotomy fällt irgendwo dazwischen; ein frustrierendes, etwa 50 Seiten schweres Pamphlet, dem es nicht gelingt, die Regeln gut verständlich und mit wenig Interpretationsspielraum zu erklären.
Noch schlimmer war jedoch Myth, das anhand der gelieferten Regeln kaum spielbar war, weil praktisch jede Spielsituation wegen der mehr prosaisch denn technisch formulierten Regeln zu einem sogenannten „Edge Case“ verkam. Es blieb an den Spielern hängen, Situationen nach bestem Wissen und Gewissen aufzulösen, weil die Regeln einfach nicht präzise genug geschrieben, geschweige denn hinreichend lektoriert waren. Das ging so weit, dass die Community eine gigantische inoffizielle FAQ mit Regelfragen zusammengestellt hat. Der Super-GAU für jeden Spielehersteller. Die deutsche Ausgabe basiert übrigens auf Version 2.0, die deutlich besser ist, wenngleich es auch zu dieser Ausgabe noch kritische Stimmen gibt.
Rufe der Backer, sie am Entwicklungsprozess der Regelhefte teilhaben zu lassen, verhallen meist ungehört, obwohl gerade hier das Know How schlummert. Sei es weil die Projektgründer sich nicht ins Handwerk pfuschen lassen wollen, Zeit und Ressourcen nicht ausreichen, oder weil ihnen der Aufwand eines solchen Peer-Reviews (und damit meine ich nicht den hier tätigen Peer) zu hoch ist. Stellt euch also darauf ein, die eine oder andere Regelfrage nach Gutdünken selbst zu beantworten und manche Passage doppelt und dreifach zu lesen. Gerade kleine Verlage (bzw. die Designer der Spiele) sind allerdings auf boardgamegeek.com unterwegs und reagieren häufig auf Regelfragen, sodass die Chance, eine offizielle Antwort auf eure Frage zu bekommen nicht unbedingt schlecht stehen.
Auch wenn ein Projekt eine übersetzte (deutsche) Ausgabe bietet, ist Vorsicht geboten. Da die Übersetzer (die oft aus der Community stammen und mehr oder weniger unentgeltlich arbeiten) die Spiele in den seltensten Fällen tatsächlich vorliegen haben, übersetzen sie im Blindflug. Die dabei wahrscheinlich entstehenden Ungereimtheiten werden von den Projektgründern mangels Sprachkenntnis im Vorfeld nicht bemerkt. Sie sind nur froh, mit Übersetzungen mehr Backer anziehen zu können. Dazu kommt: Fehler, die im Original schlummern, können auch die Übersetzer nicht ausgleichen, wie in diesem Artikel näher ausgeführt. Shit in, shit out.
Es gibt aber auch Lichtblicke: Einige Projektgründer bieten Interessierten an, das Spiel vorab einfach selbst auszudrucken und zu spielen. Print & Play nennt man das, und wird vor allem bei Spielen angeboten, deren Materialmenge eher überschaubar ist, wie z.B. Kartenspiele und Microgames. Wenn ihr den Aufwand nicht scheut, könnt ihr ein Gefühl für das Spiel entwickeln und sehen, ob die Regeln auf dem richtigen Weg sind.
Ausblick
Im dritten und letzten Teil erfahrt ihr das wichtigste zum Thema Stretch Goals, Exclusives, und womit ihr nach dem Ende einer Crowdfunding-Kampagne so rechnen müsst.
Pierre
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