Um den heißen Brei gemalt
Langsam blieben nicht mehr ganz so viele weiße Flächen übrig, abgesehen von den riesigen Flügeln. Egal, erst einmal kann man sich ja noch den Armen und Beinen, den Füßen und Händen widmen. Hier sollte die Glut unscheinbarer wirken, das Feuer weniger vorrangig. Also entschloss ich mich erst einmal alles in ein sattes Schwarz zu tauchen. Dabei mischte ich probehalber eine Pinselspitze voll Rot in die dunkle Grundierung und der Effekt gefiel mir. Also versuchte ich direkt die Stellen, die hervorstehen, mit Rot zu mischen und nur die tieferen, schattigeren Gegenden ganz schwarz zu färben. Der Effekt wirkt ähnlich, aber eben doch anders als beim Trockenbürsten und bildet damit einen interessanten Kontrast zum restlichen Körper. Die knochige Struktur der Finger wird so auf gruselige weise hübsch betont.
Dem feindlichen Flügel ins Auge blicken
Jetzt ließ es sich nicht mehr verhindern: Die Flügel waren dran. Die schiere Anzahl der Federn hier machte eines direkt klar: jede Feder einzeln bemalen, nee, vielen Dank. Stattdessen wollte ich hier einen Farbverlauf ähnlich dem am Schwanz nutzen. Von ganz dunkel an den Säumen bis ganz hell am Flügelbug. So als würde der Wind, der dem Vogel im Flug entgegenweht, die Glut vorn besonders anfachen. Das Konzept vom Schwanz weiterverfolgend wählte ich außerdem die besonders herausstehenden Federn aus, um sie in ein sehr helles Gelb zu tauchen. Über den kompletten Flügel hinweg ließ ich weitere, zufällige Federn in dieser auffälligen Farbe aus dem gleichmäßigen Farbverlauf herausstechen, um die Struktur insgesamt interessanter wirken zu lassen. Der Verlauf selbst war leicht gemacht. Jede Reihe von Federn wurde vom Saum beginnend etwas heller bemalt. Gleichzeitig mischte ich die Farbe für jede Feder einzeln zusammen, statt eine größere Menge für die ganze Reihe vorzumischen. So entstanden individuelle Schattierungen, etwas hellerer und dunklerer Federn, die das Gesamtbild realistischer wirken lassen.
Nochmal und nochmal und dann nochmal
Der erste Flügel war fertig. Und er hatte nur erstaunliche drei Stunden Zeit verschlungen. Ich war entzückt. Für etwa drei Sekunden. Dann bemerkte ich die weiße Unterseite meines Flügels. Und den anderen Flügel und dessen Unterseite. Also weitermalen, das würde wohl doch noch eine Weile dauern. Auf den Unterseiten versuchte ich generell etwas düsterer zu sein und auf weitere Highlights zu verzichten. Das machte es immerhin ein wenig einfacher. Die gute Nachricht war, mit jedem der vier „Flügel“ ging es ein wenig routinierter und damit auch ein wenig schneller voran. Fast schon enttäuscht setzte ich am dritten Flügelabend in Folge den Pinsel ab. Das war es jetzt gewesen? Alle vier Seiten bemalt? Von mir aus hätten auch noch drei kommen können, ich war in Schwung.
So viele Hände
Beim bemalen der Flügel stand noch eine Entscheidung an: Was tun mit den unzähligen winzigen Händen, die sich aus den Flügelknochen meines Phönix herausstreckten und nach der ihn umgebenden Luft zu greifen schienen? Einfach übermalen als wäre nichts gewesen? Nein, keine gute Idee. Irgendwie wollte ich Sie betonen. Fleischfarben, wie Hände eben sind? Nein, das passte so gar nicht zum restlichen Vogel. Außerdem wäre jede normale Hand in der Hitze der Glut meines Tieres längst zu schwarzer Asche verkohlt. Also vielleicht einfach als weiteres Highlight betrachten, und entsprechend weiß bemalen und mit Gelb schattieren. Ja, das hörte sich nach einer annehmbaren Lösung an. Ich bemalte also die Hände schneeweiß, wurschtelte mich mit dem hellorangen Flügelbugfeuer vorsichtig drum herum, berührte dabei hier einen hervorstehenden Daumen, dort eine Handfläche mit dem orangenen Pinsel und weißelte, nachdem diese Unfälle getrocknet waren, erneut. Zum ersten Mal kam mein allerkleinster Pinsel zum Einsatz, über den ich beim Auspacken noch müde gelächelt hatte. Für unglaubliche Details, stand darauf geschrieben. Gefühlt bestand der gesamte Pinsel maximal aus fünf winzigen Härchen. Nichts desto trotz, hier machte sich seine filigrane Form wirklich nützlich.
Kompliziert? Das kommt jetzt erst
Inzwischen war ein großer Teil des Feuervogels tatsächlich in Nuancen von Rot, Gelb und Schwarz gehüllt. Allerdings dämmerte mir langsam, dass ich mich um die wirklich schwierigen Dinge bis ganz zuletzt gedrückt hatte: Die Feinheiten. Hier waren die Hände an den Flügeln noch das harmloseste gewesen. Jetzt kam das Gesicht, oder besser gesagt, die vielen Gesichter meines Feuervogels. Augen hat der Phönix allein schon sechs. Dazu winzige, spitze Zähne im Schnabel und ein zweites vollständiges und sehr menschliches Gesicht. Um diese filigranen Strukturen alle hervorzuheben brauchte ich wieder Stunden. Und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass das Bemalen anstrengend war. Jeder Pinselstrich musste sitzen. Unglaubliche Details, genau die richtige Beschreibung. Konzentration! Die Hand bloß nicht zu locker lassen, der Pinsel darf jetzt nicht das kleinste bisschen zittern. Der Schnabel sollte hervorstechen..kräftiges Dunkelrot und Schwarz kam hier zum Einsatz. Die Zähne, die sonst untergegangen wären in ihrer Absurdheit wurden schneeweiß. Das von tiefen Furchen gezeichnete Gesicht im Schnabel meines Feuervogels kam durch den Einsatz von rotem Schnellschattierer sehr schön heraus. Genau damit betonte ich auch die anderen vier Augenpartien. Die Augen selbst stachen in weiß gut hervor. Ein besonderes Highlight war es, als ich zum ersten und einzigen Mal bei diesem Projekt eine vierte Farbtube öffnete. Ein winziger Klecks blau, um in jedes weiß bemalte Auge eine schlitzförmige Iris zu setzen. Nur eine einzige Pinselspitze voll Farbe war dazu jeweils nötig, einmal sacht gegen das Auge gedrückt. Das war’s dann schon. Mein Phönix blinzelte mich zum ersten Mal an. Es fühlte sich ein bisschen an, als hätte er in genau diesem Moment seine Seele erhalten.
Fertig?
Den im schönsten Feuerrregenbogenfarbverlauf bemalten Schnurrbart ins Gesicht geklebt und das war’s. War es das wirklich? Am ausgestreckten Arm hielt ich das fertige Werk auf Abstand. Betrachtete es prüfend von allen Seiten. Nach all den kleinen Baustellen mit denen ich mich so intensiv befasst hatte war so ein Gesamteindruck irgendwie merkwürdig. Anstatt den Phönix als Ganzes zu betrachten, ertappte ich mich dabei ihn doch wieder ganz nah vor meine Augen zu halten und auf winzige Fehler zu untersuchen. War die hellgelbe Feder nicht da an der Spitze noch ein bisschen zu weiß? Konnte ein wenig auf die nächste, rote Feder übergemaltes Orange das Gesamtbild schmälern? Waren die Hände ein wenig zu kontrastreich gezeichnet, der Schnabel vielleicht besser ganz schwarz statt dunkelrot und…
Es dauerte sicher noch mal zwei Stunden, in denen ich den Vogel hin und her drehte, pinselnd, vor mich hin murmelnd und gelegentlich leise fluchend, bis ich mich damit abgefunden hatte: Ich war fertig. Der Phönix war fertig. Und als ich mich losreissen konnte, ihn auf das Regal stellen und mich gegenüber aufs Sofa setzen konnte, war da auch endlich das passende Fertig-Gefühl. Geschafft. Und jetzt eine Partie Kingdom Death?
Vera
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